Hollie McNish ‚Embarrassed‘
Es war ein Weihnachtsgeschenk. Ich hätte mir das Buch, wäre es in der Stadt beim Flanieren zufällig in mein Blickfeld gelangt, nicht gekauft. Die Gestaltung des Umschlags – schwarz und pink auf einem Blattgoldhintergrund – entspricht gar nicht meinem Geschmack. Es erinnert an die Inneneinrichtung der Spitzenwäsche-Branche. An eine Umkleidekabine in Agent Provocateur oder Victoria’s Secret. Unter Umständen verkauft es sich so gut, dachte wohl das Personal des Verlags. Und behält auch Recht. Ausserdem wäre es mir beim blossen Querlesen als Sammlung von Ratschlägen, zitierten philosophischen Lebensweisheiten und unscharften Machtbegriffen erschienen, die mich zur Zeit nicht interessiert. Ich zögerte also anfangs, mich mit dem Inhalt des geschenkten Buches zu beschäftigen. Nach ein paar Absätzen konnte ich es nicht mehr weglegen.
Rebekka Reinhard bringt mit viel Witz und scharfer Zunge die wundesten Punkte der modernen Frau ans Licht. Oh, das bin ja ich, die hier gemeint ist. Das kenne ich von mir!, dachte ich mir beim Umschlagen jeder 5 Seite. Warum haben Menschen, die als Frauen sozialisiert werden, so oft so wenig Selbstwertgefühl? Warum können Sie nicht hinter ihren Kompetenzen stehen? Und was hat es mit dem „Artigen-Mädchen-Syndrom“, wie es die Autorin nennt, auf sich?
Rebekka Reinhard beschränkt die Existenzweisen der modernen Frau auf: Fussabtreter, Packesel oder Zirkuspferd.
Die Autorin schlägt in diesem Buch reichlich Literatur und Forschungsmaterial vor, die zum Weiterdenken aufrufen. Wer hat schon mal vom Impostor Syndrome (Hochstapler-Syndrom) gehört? Das ist eine herzzerreissende Entdeckung, die Pauline Rose Clance und Suzanne Imes, vorlegen. Sie beschreiben dieses Syndrom in ihrem Forschungspapier wie folgt:
„Despite outstanding academic and professional accomplishments, women who experience the imposter phenomenon persists in believing that they are really not bright and have fooled anyone who thinks otherwise.“
Bravo und Danke Rebekka Reinhard für die scharfe Zunge und die unterhaltsame Zeitgeistanalyse. Auf der Website philosophyworks.de gibt es noch mehr über und von der Autorin zu entdecken!
Valérie Vuillerat ist Geschäftsführerin der Ginetta GmbH. Sie spricht an den Zürcher CreativeMornings (monatlich stattfindende Vorträge in Unternehmen der Kreativwirtschaft bei Frühstückskaffee und Gipfeli) über ihre Erfahrungen mit gemischten Teams (gemeint sind Frauen mischen sich mit Männern) in der Arbeitswelt. Es geht hauptsächlich um das Arbeitsverhältnis, die Atmosphäre sowie die Ansprüche der Mitarbeitenden in ihrem Unternehmen. Im Vortrag werden die üblichen Klischees reproduziert: Frauen lieben Ordnung, Sauberkeit, intime Gespräche und Zalando, unter Frauen finden catfights statt, Frauen streben Harmonie und Konfliktlösungen an, Männer hingegen kommunizieren nicht und arbeiten mit der aggressiven Ellbogentechnik, um sich Führungspositionen zu erkämpfen. Es zeigt sich in der anschliessenden Gesprächsrunde das übliche Problem, dass Frauen eben so sind und Männer eben so sind. Die unterschiedlichen Verhaltensweisen werden entsprechend verglichen und bewertet.
Zum Glück melden sich bald ein paar Menschen aus dem Publikum zu Wort, die wichtige Unterscheidungen treffen: Warum ist Aggression bei Männern positiv und bei Frauen negativ konnotiert? Wie steht es mit kulturellen Unterschieden im Team? Sprechen wir über das männerdominierte Feld der Programmierkunst oder den frauendominierten Berufszweig der Kinderbetreuung? Diese kritischen Sichtweisen eröffnen sofort das weite, komplexe Feld des Geschlechterverhältnisses. Die stattfindende Diskussion wird interessanter. Sie lässt viel offen, aber sie gibt einen sehr wichtigen Impuls für ein kritischeres Weiterdenken. Schön ist auch, dass das Thema ernsthaft diskutiert wird. Der Austausch über das Thema findet bei Tageslicht in einem Unternehmen im up-and-coming Zürcher Kreis 4 statt (lese: up, up, up) – und eben nicht bei einem unterirdischen Kaffeekränzchen von Weltverbessernden oder im dunklen Flur zwischen zwei unglücklichen Mitarbeitenden.
Gloria freut sich riesig, dass Valérie Vuillerat diesen Vortrag gehalten hat. Auch wenn ihr undifferenziertes Sprechen über Männer und Frauen viele Angriffsflächen bietet (gewusst wie, können diese im Gespräch leicht vermieden oder umgangen werden), trägt sie wertvolle zukunftsweisende Ideen in die Arbeitswelt hinaus. Sie spricht von den Vorteilen unterschiedlicher Erfahrungen und Ideen für das Unternehmen. Es fallen wohlklingende Konzepte wie „selbstverständliche Lohngleichheit“ und das unbedingte Möglichsein der Vereinbarung von Job, Weiterbildung und Familie. Kurzum: Es lohnt sich für alle Progressiven, das oben verlinkte Video anzusehen.
Go, Ginetta, Go – auf zu neuen Horizonten!
Howgh – der Network Executive hat gesprochen. Leise summt die Klimaanlage in seinem Office in LA, als er sich von den Vorschlägen für neue TV-Serien seiner „Writers“ und „Producers“ abwendet. Die Ausschlusskriterien für neue amerikanische Fernsehserien lernt Tina Fey, die Autorin von Bossypants (2011), auf diese Weise nach und nach kennen.
Der Einstieg in das Buch über Frau Feys Leben hinter und auf der Bühne ist holprig und erfüllt nicht die Erwartungen, die wir an eine Comedy-Frau stellen. Aber gib nicht auf. Nach ein paar Kapiteln wartet sie mit den skurillsten Geschichten ever aus dem Comedy-Business auf. Kaum zu glauben, dass sie nicht ihrer Phantasie entsprungen sind. Wir erfahren, dass viele guys im Show Biz regelmässig in Plastikbecher pinkeln, damit sie sich den Weg auf die Toilette ersparen. Very funny.
Oder Frau Fey erzählt von ihrem Verdacht, dass Schauspielerinnen, die nicht mehr fuck-würdig sind, in der industry automatisch als crazy women ausgegrenzt werden. Wohingegen ihre männlichen Kollegen selbst wenn sie sich nicht mehr ohne Hilfe den Allerwertesten abwischen können, noch mit viel Sendezeit im Fernsehen rechnen können.
Für Angehörige der weiblichen Geschlechtsklasse klingt folgendes Versprechen wie Musik in den Ohren: Sie werde, so Frau Fey, gerade aufgrund dieser unfairen Umstände in ihrem Beruf Gas geben – als hätte sie das nicht schon getan, als Boss von 200 Mitarbeitenden – damit sie in Zukunft mit Menschen zusammenarbeitet, die sich nicht für ihre Karriere ausziehen müssen. Was Teat Nazis sind und warum Frau Fey ihrer Meinung nach – im Gegensatz zu männlichen Comedians – die Politikerin Sarah Palin nicht ungestraft imitieren kann, erfährt ihr auf den Seiten 242 und 234 ihres Buches.
Modern couple Webdoku auf arte.tv: „ELTERN werden, das bringt MÄNNER durcheinander, das verändert FRAUEN. Das Leben hat plötzlich nichts mehr mit den Katalogen des schwedischen Möbelhauses gemeinsam.“
Ist Lady Gaga wirklich eine Feministin? Dieses Buch gibt eine Antwort darauf. Immerhin war Caitlin Moran mit Lady Gaga in Berlin beim Clubbing, wo die Dame mit dem gelegentlichen Hummer am Kopf einiges über ihre Weltsicht zu später Stunde verrät. Es ist ein grosses Vergnügen zu lesen, wenn Caitlin Moran in ihrem Buch How to be a woman (2011) weit ausholt und über ihre persönlichen Erfahrung als Pubertierende mit dem Frau-werden sinniert. In den Anfangskapiteln – „I Start Bleeding!“, „I Become Furry“, „I Don’t Know What To Call My Breasts“ – erfahren wir zum Beispiel Caitlins bevorzugten Namen für „da unten“ – „I personally have a cunt.“ – und die, die sie amüsieren: „cupcake“, „flower“, „mary“, „Yorkshire Pudding“. Durchaus überzeugend erklärt sie, warum das Styling von Achselhaaren als Modeaccessoire zu sehen ist: „Some days, a shaved armpit just looks a bit … boring. If I’m wearing jeans and a vest top, and I’m hanging with my homies, it’s quite nice to go a bit George Michael – a bit ‚Faith‘, with a flash of four-day fuzz.“ (S 52)
Das Kapitel über Abtreibung ist sehr bewegend. Es ist so klug und einfühlsam geschrieben, dass kein staatlicher Verfassungsparagraph, der sich auf Menschrechte beziehen will, dagegen ankommt. Sie schreibt über Ihre eigene Entscheidung für einen Abort und lässt auch ihre Freundin Rachel zu Wort kommen: „It’s one of the top four best things I ever did – after marrying my husband, having my son, and getting a fixed quote on the loft conversion.“ (S 284) Gleichzeitig bringt sie eine Reihe von prägnanten Argumenten und „hard facts“, die für das Recht abzutreiben sprechen und schwer zu widerlegen sind. Germaine Greer (und ihre Schrift The Whole Woman) kommt immer wieder als Morans Heldin vor – diese Autorin muss ich noch näher kennenlernen, sie scheint nach den Ausführungen von Moran sehr rebellisch in ihrer Weltsicht gewesen zu sein.
Wenn es um Themen wie Arbeit, Beruf und Erfolg geht, dann kann ich ihr jedoch nicht mehr folgen. Die Gründe, warum es keine Menschen mit „cupcakes“ da unten namens Plato oder Einstein gibt, sind meiner Ansicht nach nicht relevant. (Ausserdem gibt es den weiblichen Gegenpart Marie Curie.) Es geht nicht darum, dass „Frauen“ wie „Männer“ werden, denn dann würde sich am ganzen heteronormativ aufgebauten System rein gar nichts ändern.
Aber das tut dem Buch nicht weh. Seine Stärke ist das Anliegen des Feminismus mit viel Witz und Einsicht zu verteidigen. Es wird uns ein bunter Blumenstrauss an Beobachtungen des Frau-Seins serviert, ein postiver Impuls, der Lust auf Experimentieren und Veränderung macht.
Auf Ihrer Website gibt es Foren und Newsletters und Twitternachrichten und …
schwester zum bruder: „was denkst du? (die stimme senkt sich) das darf ich nicht so laut sagen. (sie flüstert) sehen die schuhe meines sohnes aus wie mädchenschuhe? (sie zeigt auf die schuhe an den kleinen füsschen) was denkst du? huh, ich hoff ich hab da nichts falsch gemacht… wenn ich ihm das sage … das kann ich ihm nicht sagen, da wird er mir böse sein…“